SO, 18.09.2005: Bundestagswahl
62 Millionen Deutsche sind heute aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen, und damit darüber zu entscheiden, ob es einen neuen Bundeskanzler gibt, oder nicht.

Mehr darüber im Link



Links zu mehr Bildern / Text

SO, 18.09.2005: Von Papa

Eigentlich sollte erst nächstes Jahr neu gewählt werden. Aber der jetzige Bundeskanzler, der Gerhard Schröder, hat die sogenannte Vertrauensfrage gestellt. Das heißt, er tut so, als habe er das Vertrauen seiner eigenen Partei, der SPD, verloren, und nimmt das als Anlaß, um den Bundestag vorzeitig aufzulösen und so Neuwahlen zu erreichen.

Es ist so, dass der Bundestag nicht einfach so aufgelöst werden kann, um es zu Neuwahlen kommen zu lassen. Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts - in der Weimarer Republik - war das nämlich so, dass der Bundestag, der damals noch Reichstag hieß, fast nach Belieben aufgelöst werden konnte - und dies geschah dann auch sehr häufig und manche sagen, dass somit das Aufkommen der Nazis begünstigt worden ist.

Warum der Herr Schröder die Vertrauensfrage gestellt hat, ist schwer zu verstehen. Er kann und will damit seine Macht demonstrieren, aber wenn er Pech hat, ist er weg vom Fenster.

Vor ein paar Jahren hat er gesagt: "Wenn ich es nicht schaffe, bis 2005 die Arbeitslosenzahlen signifikant (also "deutlich") zu senken, habe ich es nicht verdient, wieder gewählt zu werden!". Ganz klar ist, dass er es nicht geschafft hat. Die Arbeitslosenzahlen sind weiter gestiegen. Momentan sind wir bei etwa 5 Millionen, die tatsächliche Zahl dürfte noch einiges höher sein, jeden Tag kommen 1000 weitere hinzu.

Deutschland geht es überhaupt nicht gut. Der Staat ist verschuldet ohne Ende (eintausendvierhundert Milliarden Euro), das Gesundheitssystem hat kein Geld mehr, die Rentner kriegen immer weniger (und es werden immer mehr Rentner immer älter), wir schneiden ganz schlecht bei der Bildung ab, die Jungen kriegen kaum noch Ausbildungsplätze oder Jobs, wenn sie nicht hoch qualifiziert sind, die Älteren sollen bis 65 arbeiten, kriegen aber mit 45 kaum noch einen neuen Job. Verliert ein Arbeiter nach 30 Jahren unverschuldet seine Arbeit, z.B. weil seine Firma Pleite macht, kriegt er für ein Jahr ein Arbeitslosengeld. Danach, wenn er keinen neuen Arbeitgeber gefunden hat, wird er gestellt, wie einer, der noch nie gearbeitet hat.

Die großen Unternehmen haben Schwierigkeiten, sich im globalen Konkurrenzkampf zu behaupten, mittelständische Firmen kämpfen gegen Billigkonkurrenz aus den neuen EU-Mitgliedern aus dem Osten, und kleine Firmen, wie etwa Tante-Emma-Läden gibt es heute sowieso kaum noch. Im krassen Gegensatz dazu steht die Tatsache, dass wir Exportweltmeister sind, das heißt also, dass wir das Land sind, das die meisten Sachen an andere Länder verkauft. Doch die Güter, die Porsche, VW, Adidas, Siemens und Co. verkaufen, werden kaum noch in Deutschland hergestellt. Siemens hat gerade heute (MO, 19. September) wieder den Abbau von zweieinhalbtausend Stellen angekündigt - die Handyproduktion (bisher in München) haben sie vor wenigen Monaten ins Ausland verkauft.

Es gibt immer mehr Kinder, die arm sind, die Unternehmen machen eines nach dem anderen Pleite, oder sie müssen, um zu überleben, Arbeitsplätze streichen oder ins Ausland verlegen, und dabei stecken sich die Bosse der Unternehmen immer fettere Gelder in ihre Taschen.

Zur Zeit gehört 10% der Bevölkerung 50% des Vermögens, oder bildlich gesprochen: Von einer schönen Torte gehört in einer Runde von zehn Leuten einem die Hälfte. Die andere Hälfte müssen sich die verbleibenden neun aufteilen.

Dabei macht die Politik dann so unwichtige Sachen wie Dosenpfand, überflüssige und unsinnige Rechtschreibreform, die keiner haben will, völlig überteuertes und dennoch nicht funktionierendes LKW-Maut-System und so könnte man weiter machen.

Und zu Zeiten, da fast alle zurückstecken müssen, weniger verdienen, obwohl fast alles viel teurer wird, mehr leisten müssen, flexibler sein müssen, macht die Politik Schlagzeilen dadurch, dass sich EU-Parlametarier etliche Sonderregelungen gönnen, obwohl sie eh schon fett verdienen, und auch der hessische Landtag hat sich zum zweiten Mal in diesem Jahr (!) satte Diätenerhöhungen genehmigt.

Schwarz-weiß gemalt? Vielleicht, dennoch zeichnet dieses Bild die Lage, wie sie viele fühlen.

Vor diesem Hintergrund also hat der Bundeskanzler Schröder nun also die Vertrauensfrage gestellt. Nachdem im Mai 2005 bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen die letzte rot-grüne Koalition auf Landesebene abgewählt worden war (woran man sehen kann, wie unzufrieden die Menschen mit der aktuellen, rot-grünen Politik sind), kündigte Schröder an, die Vertrauensfrage zu stellen, um die vorzeitige Auflösung des Bundestages und jetzt eben vorgezogene Bundestagswahlen zu erreichen. Am 27. Juni 2005 übermittelte der Bundeskanzler dem Bundestag seinen Antrag, ihm das Vertrauen auszusprechen.

Der Abstimmung ging eine Debatte voraus, in der der Kanzler seinen Antrag mit mangelnder Handlungsfähigkeit seiner Regierung und dem SPD-internen Konflikt rund um die Reformagenda 2010 begründete. Er könne sich einer "stabilen Mehrheit des Bundestages" nicht mehr sicher sein. Ihm wurde das Vertrauen nicht ausgesprochen (obwohl der SPD-Vorsitzende Müntefering sagte: "Der Kanzler hat das Vertrauen der Partei!", aber das war wohl ein Versprecher).

Schröder schlug die Auflösung des Bundestages vor. Bundespräsident Horst Köhler löste den 15. Deutschen Bundestag auf und ordnete Neuwahlen an. Und die haben wir heute.

Das Ergebnis:

Ein absolutes Unentschieden. In der Zeit des Wahlkampfs war die Union klar vorne gelegen, und man wähnte Rot/Grün schon abgewählt. Doch zwei Dinge liefen nicht gut für die CDU. Erstens der als Joker angepriesene Prof. Kirchhof, der eine ganz einfache Steuerpolitik versprach. Doch die CDU stand überhaupt nicht hinter seinem Konzept und die Wähler sind verunsichert. Zweitens: Die Kanzlerkandidatin Angela Merkel. Viele trauen ihr das Amt nicht zu, in Medienduellen zeigt sie sich als zu brav, ängstlich, schwach. So stehen viele Wähler vor dem Problem: SPD und Grüne haben´s sieben Jahre schlecht gemacht, es muss ein Wechsel her. Aber was sind die Alternativen? Eine Regierung unter Merkel?

Der Wahlkampf ist in meinen Augen totale Panne gewesen. Dass Wahlversprechen gemacht werden, die eh nicht gehalten werden, hat ja schon lange Tradition. Ich fand aber diesmal besonders auffallend, dass es augenscheinlich hauptsächlich darum ging, die Inkompetenz der anderen darzulegen, das Programm der anderen niederzumachen.

Dementsprechend schwammig wählten die Bürger, der "Souverän":

- CDU/CSU 225 Sitze (35,2%)
- SPD 222 Sitze (34,3%)
- FDP 61 Sitze (9,8%)
- Linke 54 Sitze (8,7%)
- Grüne 51 Sitze (8,1%)

(insges. 613 Sitze)

Jetzt gibt es das Problem, dass sich keine Koalitionen finden, die eine Regierung bilden können, weil die Parteien nicht zusammenfinden können (FDP will unter keinen Umständen mit der SPD, alle wollen nicht mit den Linken etc.).



Web-Tagebuch von Lia Kim Alina